IC - InfoCollagen on Nostr: Free21 Imperiale Hybris in Syrien – und deren Folgen Von Alastair Crooke ...
Free21
Imperiale Hybris in Syrien – und deren Folgen
Von Alastair Crooke
veröffentlicht am: 6. Februar 2025,
Dieser Text wurde zuerst am 01.01.2025 auf httpwww.strategic-culture.su unter der URL https://strategic-culture.su/news/2025/01/01/imperial-hubris-and-its-consequences-in-syria/
veröffentlicht. Lizenz: Alastair Crooke, Strategic Culture, CC BY-NC-ND 4.0
Syrien, Taftanaz, 12.1.2013. (Foto: IHH Humanitarian Relief Foundation, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0)
Die Geschichte Syriens scheint nicht so einfach zu sein, wie „Präsident Assad ist gestürzt“ und die „technokratischen Salafisten“ sind an die Macht gekommen [1].
In gewisser Hinsicht war der Zusammenbruch vorhersehbar. Dass Assad seit einigen Jahren von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten beeinflusst wurde, war bekannt. Sie hatten ihn gedrängt, mit dem Iran und Russland zu brechen und sich dem Westen zuzuwenden. Seit etwa 3 bis 4 Jahren hatte er einen solchen Schritt vorsichtig angedeutet und umgesetzt. Vor allem der Iran sah sich in operativen Fragen, in denen er mit den syrischen Streitkräften zusammenarbeitete, immer größeren Hindernissen gegenüber. Assads Kurswechsel war als Botschaft an den Iran gedacht.
Die finanzielle Lage Syriens war nach Jahren der US-amerikanischen Caesar-Sanktionen katastrophal [2]. Durch den Verlust aller Einnahmen aus Landwirtschaft und Energie, die von den USA im besetzten Nordosten beschlagnahmt worden waren, hatte Syrien schlichtweg keine Wirtschaft mehr.
Zweifellos wurde Assad die Kontaktaufnahme mit Israel und Washington als einziger gangbarer Ausweg aus seinem Dilemma präsentiert. „Normalisierung“ könnte zur Aufhebung der Sanktionen führen, beknieten sie ihn. Und Assad, so berichten ihm nahestehende Personen, glaubte (selbst in der elften Stunde vor der „Invasion“ der HTS), dass die arabischen Staaten, die Washington nahestehen, sich für seine weitere Führung entschieden hätten, anstatt zuzusehen, wie das Land salafistischen Fanatikern zum Opfer fällt.
Um es klar zu sagen: Moskau und Teheran hatten Assad gewarnt. Seine Armee insgesamt sei zu schwach, zu unterbezahlt und zu sehr von ausländischen Geheimdiensten unterwandert und bestochen, als dass man erwarten könne, sie würde den Staat wirksam verteidigen. Assad wurde auch wiederholt vor der Bedrohung durch Dschihadisten in Idlib gewarnt, die planten, Aleppo einzunehmen. Aber der Präsident ignorierte die Warnungen nicht nur – er wies sie zurück.
Nicht nur einmal, sondern zweimal, sogar in den „letzten Tagen“, als Jolanis Milizen auf dem Vormarsch waren, wurde ihm eine sehr große externe Streitmacht angeboten. Assad lehnte ab. „Wir sind stark“, sagte er bei der ersten Gelegenheit einem Gesprächspartner. Doch kurz darauf, bei einer zweiten Gelegenheit, gab er zu: „Meine Armee läuft davon“.
Assad wurde von seinen Verbündeten nicht im Stich gelassen. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits zu spät. Einmal zu oft hatte er sich um 180 Grad gedreht. Zwei der Hauptakteure – Russland und der Iran – waren frustriert und konnten ohne Assads Zustimmung nicht helfen.
Ein Syrer, der die Familie Assad kannte und kurz vor der Invasion Aleppos ausführlich mit dem Präsidenten gesprochen hatte, fand ihn überraschend zuversichtlich und gelassen – er versicherte seinem Freund, dass es in Aleppo genügend Truppen (2.500) gebe, um mit Jolanis Drohungen fertig zu werden. Und er deutete an, Präsident Sissi könnte bereit sein, Syrien mit Hilfe zu unterstützen. (Ägypten fürchtete natürlich, dass Islamisten der Muslimbruderschaft in einem ehemals säkularen Baath-Staat die Macht übernehmen könnten).
Ibrahim Al-Amine, Herausgeber von Al-Akhbar, teilte eine ähnliche Wahrnehmung von Assad [3]:
„Assad schien mehr und mehr überzeugt zu sein, dass Abu Dhabi in der Lage sei, sein Problem mit den Amerikanern und einigen Europäern zu lösen. Und er hörte viel über wirtschaftliche Versuchungen, wenn er der Strategie zustimmte, das Bündnis mit den Widerstandskräften fallen zu lassen. Einer von Assads Mitarbeitern, der bis zu den letzten Stunden vor seinem Verlassen von Damaskus bei ihm blieb, sagte, dass der Mann immer noch hoffte, dass etwas Großes geschehen würde, um den Angriff der bewaffneten Gruppen zu stoppen. Er glaubte, dass ‚die arabische und internationale Gemeinschaft‘ es vorziehen würden, dass er an der Macht bleibt, anstatt dass Islamisten die Verwaltung Syriens übernehmen“.
Doch selbst als die Jolani-Truppen auf der Autobahn M5 in Richtung Damaskus unterwegs waren, machten die Mitglieder der Assad-Familie und wichtige Beamte keine Anstalten, sich auf eine Abreise vorzubereiten oder enge Freunde zu warnen, über solche Möglichkeiten nachzudenken, so der Gesprächspartner. Selbst als Assad auf dem Weg nach Moskau in Richtung Hmeimin fuhr, wurde Freunden nicht geraten „das Land zu verlassen“.
Letztere erklärten, dass sie nach Assads stillschweigendem Abgang nach Moskau nicht wüssten, wann und wer genau der syrischen Armee befohlen habe, sich zurückzuziehen und den Übergang vorzubereiten.
Assad machte am 28. November einen Kurzbesuch in Moskau – einen Tag nach den HTS-Angriffen in der Provinz Aleppo und ihrem raschen Vormarsch nach Süden (und einen Tag nach dem Waffenstillstand im Libanon). Die russischen Behörden haben sich nicht zum Inhalt der Treffen des Präsidenten in Moskau geäußert, und die Familie Assad sagte, dass der Präsident ebenfalls wortkarg aus Russland zurückgekehrt sei.
Screenshot: Deutsche Welle (DW), erstellt am 21.1.2025 – 17:06:14, https://www.dw.com/de/aufstand-in-syrien-dieses-regime-ist-tot/a-70988481
Anschließend reiste Assad endgültig nach Moskau ab (entweder am 7. Dezember, nachdem er ein Privatflugzeug zu mehreren Flügen nach Dubai geschickt hatte, oder am 8. Dezember) – auch hier teilte er praktisch niemandem in seinem unmittelbaren und familiären Umfeld mit, dass er für immer abreisen würde.
Was war die Ursache für dieses untypische Verhalten? Niemand weiß es, aber Familienmitglieder haben spekuliert, dass Bashar Al-Assad durch die schwere Krankheit seiner Frau Asma, der er sehr verbunden ist, emotional stark verwirrt war.
Offen gesagt: Während die drei Hauptakteure klar erkennen konnten, in welche Richtung sich die Ereignisse entwickelten (die Fragilität des Staates war keine Überraschung), waren Assads Verweigerungshaltung und die daraus resultierende Rasanz der militärischen Auflösung dennoch überraschend. Das war der wahre „schwarze Schwan“.
Was hat die Ereignisse ausgelöst? Erdoğan forderte seit mehreren Jahren, dass Assad erstens mit der „legitimen syrischen Opposition“ verhandelt, zweitens die Verfassung ändern und drittens Präsident Erdoğan persönlich trifft (was Assad konsequent ablehnte). Alle drei Mächte drängten Assad, mit der „Opposition“ zu verhandeln, aber er wollte nicht – und sich auch nicht mit Erdoğan treffen. (Beide verabscheuen einander). Die Frustration darüber war groß.
Erdoğan ist nun unbestreitbar „Besitzer“ des „ehemaligen Syriens“ [4]. Die osmanischen Irredentisten [Irredentismus: Ideologie, Gebiete eines anderen Staates dem eigenen Staatsgebiet anzuschließen, um möglichst alle Vertreter einer bestimmten Ethnie in einem Staat mit festen Territorialgrenzen zu vereinen. Quelle: Wikipedia; Anm. d. Red] sind ekstatisch und fordern mehr türkischen Revanchismus. Andere – die eher säkularen Stadtbewohner der Türkei – sind jedoch weniger begeistert von der Zurschaustellung des türkischen religiösen Nationalismus.
Erdoğan könnte jedoch (oder wird bald) die Kaufreue verspüren: Ja, die Türkei ist stolz darauf, Syriens neuer Hausherr zu sein. Aber er ist jetzt „verantwortlich“ für das, was als Nächstes passiert. (HTS ist eindeutig als türkischer Proxy entlarvt). Minderheiten werden getötet; brutale Hinrichtungen aufgrund der Religionszugehörigkeit nehmen zu; das Sektierertum wird extremer. Eine syrische Wirtschaft ist noch nicht in Sicht; es gibt keine Einnahmen und keinen Treibstoff für die Benzinraffinerie (der zuvor vom Iran geliefert wurde).
Erdoğans Eintreten für eine umbenannte und verwestlichte Al-Qaida war schon immer ein riskantes Unterfangen (wie die sektiererischen Morde auf grausame Weise zeigen). Wird es Jolani gelingen, seine Al-Qaida-im-Anzug Aufmachung bei seinen andersgläubigen Anhängern durchzusetzen? Abu Ali al-Anbari, damals (2012–2013) der wichtigste Berater von al-Baghdadi, gab diese vernichtende Einschätzung von Jolani ab [5]:
ung von Jolani ab [5]:
„Er ist ein gerissener Mensch; hat zwei Gesichter; vergöttert sich selbst; seine Soldaten sind ihm egal; er ist bereit, ihr Blut zu opfern, um sich in den Medien einen Namen zu machen – er strahlt, wenn er seinen Namen auf Satellitenkanälen hört.“
Auf jeden Fall ist eines klar: Erdoğans Taktik hat das ehemals (und größtenteils) ruhende sunnitische Sektierertum und den osmanischen Imperialismus neu entfacht. Die Folgen werden vielfältig sein und sich auf die gesamte Region auswirken. Ägypten ist bereits besorgt – ebenso König Abdullah in Jordanien.
Viele Israelis sehen sich als die „Gewinner“ des syrischen Umsturzes, da die Nachschublinie der Achse des Widerstands in der Mitte durchtrennt wurde. Der israelische Sicherheitschef Ronan Bar wurde höchstwahrscheinlich von Ibrahim Kalın, dem türkischen Geheimdienstchef, instruiert, als sie sich am 19. November in Istanbul wegen der erwarteten Invasion in Idlib trafen – rechtzeitig, damit Israel den Waffenstillstand im Libanon einleiten und den Durchmarsch der Hisbollah-Kräfte nach Syrien verhindern konnte (Israel bombardierte sofort alle Grenzübergänge zwischen dem Libanon und Syrien).
Dennoch könnten die Israelis entdecken, dass ein neu entfachter salafistischer Fanatismus nicht ihr Freund – und letztlich auch nicht zu ihrem Vorteil ist.
Der Iran wird am 17. Januar 2025 das lang erwartete Verteidigungsabkommen mit Russland unterzeichnen.
Russland wird sich auf den Krieg in der Ukraine konzentrieren und sich aus dem Sumpf des Nahen Ostens heraushalten – um sich auf die langsame globale Umstrukturierung zu konzentrieren, die sich vollzieht. Und auf den Versuch im großen Zusammenhang, Trump dazu zu bringen, zu gegebener Zeit die Sicherheitsinteressen der asiatischen Kernländer und der BRICS-Staaten anzuerkennen und sich auf eine Grenze zur (atlantischen) Sicherheitssphäre der Randgebiete zu einigen, so dass eine Zusammenarbeit in Fragen der globalen strategischen Stabilität und der europäischen Sicherheit vereinbart werden kann.
(Teil 1 dieses Artikels kann auf dem Substack-Blog des „Conflicts Forum“ eingesehen werden [6]):
+++
Quellen & Links
[1] News Lines Magazine, Hassan Hassan, Michael Weiss „The Backstory Behind the Fall of Aleppo“, am 2.12.2024: https://www.conflictsforum.org/mailster/3794/cd55a8bc957e4746f3f008aa7da8526b/aHR0cHM6Ly9uZXdsaW5lc21hZy5jb20vcmVwb3J0YWdlL3RoZS1iYWNrc3RvcnktYmVoaW5kLXRoZS1mYWxsLW9mLWFsZXBwby8
[2] Conflicts Forum’s Substack, Alastair Crooke „Clarity: A New ‘Balance of Power Equation’“, am 22.12.2024: https://www.conflictsforum.org/mailster/3794/cd55a8bc957e4746f3f008aa7da8526b/aHR0cHM6Ly9jb25mbGljdHNmb3J1bS5zdWJzdGFjay5jb20vcC9jbGFyaXR5LWEtbmV3LWJhbGFuY2Utb2YtcG93ZXItZXF1YXRpb24
[3] al-Akhbar Tageszeitung, Ibrahim Al-Amin وقائع «7 أكتوبر السوري» [1]“ am 18.12.2024: https://www.conflictsforum.org/mailster/3794/cd55a8bc957e4746f3f008aa7da8526b/aHR0cHM6Ly9hbC1ha2hiYXIuY29tL2xlYmFub24vODE2NzEwLyVEOSU4OCVEOSU4MiVEOCVBNyVEOCVBNiVEOCVCOS0tNy0lRDglQTMlRDklODMlRDglQUElRDklODglRDglQTglRDglQjEtJUQ4JUE3JUQ5JTg0JUQ4JUIzJUQ5JTg4JUQ4JUIxJUQ5JThBLS0tMQ
[4] X (Twitter), Critical Threats „An explosion from a former SAA position in Homs City suggests that HTS does not yet have full control on the ground and that local groups and individuals can access and repurpose unexploded ordinance.“, am 28.12.2024: https://www.conflictsforum.org/mailster/3794/cd55a8bc957e4746f3f008aa7da8526b/aHR0cHM6Ly94LmNvbS9jcml0aWNhbHRocmVhdHMvc3RhdHVzLzE4NzI4MDgzNDY2OTAxNzUwMzY
[5] siehe [1]
[6] siehe [2]
Für Spenden besuchen Sie bitte die Webseite
+++
https://free21.org/imperiale-hybris-in-syrien-und-deren-folgen/
Imperiale Hybris in Syrien – und deren Folgen
Von Alastair Crooke
veröffentlicht am: 6. Februar 2025,
Dieser Text wurde zuerst am 01.01.2025 auf httpwww.strategic-culture.su unter der URL https://strategic-culture.su/news/2025/01/01/imperial-hubris-and-its-consequences-in-syria/
veröffentlicht. Lizenz: Alastair Crooke, Strategic Culture, CC BY-NC-ND 4.0

Syrien, Taftanaz, 12.1.2013. (Foto: IHH Humanitarian Relief Foundation, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0)
Die Geschichte Syriens scheint nicht so einfach zu sein, wie „Präsident Assad ist gestürzt“ und die „technokratischen Salafisten“ sind an die Macht gekommen [1].
In gewisser Hinsicht war der Zusammenbruch vorhersehbar. Dass Assad seit einigen Jahren von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten beeinflusst wurde, war bekannt. Sie hatten ihn gedrängt, mit dem Iran und Russland zu brechen und sich dem Westen zuzuwenden. Seit etwa 3 bis 4 Jahren hatte er einen solchen Schritt vorsichtig angedeutet und umgesetzt. Vor allem der Iran sah sich in operativen Fragen, in denen er mit den syrischen Streitkräften zusammenarbeitete, immer größeren Hindernissen gegenüber. Assads Kurswechsel war als Botschaft an den Iran gedacht.
Die finanzielle Lage Syriens war nach Jahren der US-amerikanischen Caesar-Sanktionen katastrophal [2]. Durch den Verlust aller Einnahmen aus Landwirtschaft und Energie, die von den USA im besetzten Nordosten beschlagnahmt worden waren, hatte Syrien schlichtweg keine Wirtschaft mehr.
Zweifellos wurde Assad die Kontaktaufnahme mit Israel und Washington als einziger gangbarer Ausweg aus seinem Dilemma präsentiert. „Normalisierung“ könnte zur Aufhebung der Sanktionen führen, beknieten sie ihn. Und Assad, so berichten ihm nahestehende Personen, glaubte (selbst in der elften Stunde vor der „Invasion“ der HTS), dass die arabischen Staaten, die Washington nahestehen, sich für seine weitere Führung entschieden hätten, anstatt zuzusehen, wie das Land salafistischen Fanatikern zum Opfer fällt.
Um es klar zu sagen: Moskau und Teheran hatten Assad gewarnt. Seine Armee insgesamt sei zu schwach, zu unterbezahlt und zu sehr von ausländischen Geheimdiensten unterwandert und bestochen, als dass man erwarten könne, sie würde den Staat wirksam verteidigen. Assad wurde auch wiederholt vor der Bedrohung durch Dschihadisten in Idlib gewarnt, die planten, Aleppo einzunehmen. Aber der Präsident ignorierte die Warnungen nicht nur – er wies sie zurück.
Nicht nur einmal, sondern zweimal, sogar in den „letzten Tagen“, als Jolanis Milizen auf dem Vormarsch waren, wurde ihm eine sehr große externe Streitmacht angeboten. Assad lehnte ab. „Wir sind stark“, sagte er bei der ersten Gelegenheit einem Gesprächspartner. Doch kurz darauf, bei einer zweiten Gelegenheit, gab er zu: „Meine Armee läuft davon“.
Assad wurde von seinen Verbündeten nicht im Stich gelassen. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits zu spät. Einmal zu oft hatte er sich um 180 Grad gedreht. Zwei der Hauptakteure – Russland und der Iran – waren frustriert und konnten ohne Assads Zustimmung nicht helfen.
Ein Syrer, der die Familie Assad kannte und kurz vor der Invasion Aleppos ausführlich mit dem Präsidenten gesprochen hatte, fand ihn überraschend zuversichtlich und gelassen – er versicherte seinem Freund, dass es in Aleppo genügend Truppen (2.500) gebe, um mit Jolanis Drohungen fertig zu werden. Und er deutete an, Präsident Sissi könnte bereit sein, Syrien mit Hilfe zu unterstützen. (Ägypten fürchtete natürlich, dass Islamisten der Muslimbruderschaft in einem ehemals säkularen Baath-Staat die Macht übernehmen könnten).
Ibrahim Al-Amine, Herausgeber von Al-Akhbar, teilte eine ähnliche Wahrnehmung von Assad [3]:
„Assad schien mehr und mehr überzeugt zu sein, dass Abu Dhabi in der Lage sei, sein Problem mit den Amerikanern und einigen Europäern zu lösen. Und er hörte viel über wirtschaftliche Versuchungen, wenn er der Strategie zustimmte, das Bündnis mit den Widerstandskräften fallen zu lassen. Einer von Assads Mitarbeitern, der bis zu den letzten Stunden vor seinem Verlassen von Damaskus bei ihm blieb, sagte, dass der Mann immer noch hoffte, dass etwas Großes geschehen würde, um den Angriff der bewaffneten Gruppen zu stoppen. Er glaubte, dass ‚die arabische und internationale Gemeinschaft‘ es vorziehen würden, dass er an der Macht bleibt, anstatt dass Islamisten die Verwaltung Syriens übernehmen“.
Doch selbst als die Jolani-Truppen auf der Autobahn M5 in Richtung Damaskus unterwegs waren, machten die Mitglieder der Assad-Familie und wichtige Beamte keine Anstalten, sich auf eine Abreise vorzubereiten oder enge Freunde zu warnen, über solche Möglichkeiten nachzudenken, so der Gesprächspartner. Selbst als Assad auf dem Weg nach Moskau in Richtung Hmeimin fuhr, wurde Freunden nicht geraten „das Land zu verlassen“.
Letztere erklärten, dass sie nach Assads stillschweigendem Abgang nach Moskau nicht wüssten, wann und wer genau der syrischen Armee befohlen habe, sich zurückzuziehen und den Übergang vorzubereiten.
Assad machte am 28. November einen Kurzbesuch in Moskau – einen Tag nach den HTS-Angriffen in der Provinz Aleppo und ihrem raschen Vormarsch nach Süden (und einen Tag nach dem Waffenstillstand im Libanon). Die russischen Behörden haben sich nicht zum Inhalt der Treffen des Präsidenten in Moskau geäußert, und die Familie Assad sagte, dass der Präsident ebenfalls wortkarg aus Russland zurückgekehrt sei.

Screenshot: Deutsche Welle (DW), erstellt am 21.1.2025 – 17:06:14, https://www.dw.com/de/aufstand-in-syrien-dieses-regime-ist-tot/a-70988481
Anschließend reiste Assad endgültig nach Moskau ab (entweder am 7. Dezember, nachdem er ein Privatflugzeug zu mehreren Flügen nach Dubai geschickt hatte, oder am 8. Dezember) – auch hier teilte er praktisch niemandem in seinem unmittelbaren und familiären Umfeld mit, dass er für immer abreisen würde.
Was war die Ursache für dieses untypische Verhalten? Niemand weiß es, aber Familienmitglieder haben spekuliert, dass Bashar Al-Assad durch die schwere Krankheit seiner Frau Asma, der er sehr verbunden ist, emotional stark verwirrt war.
Offen gesagt: Während die drei Hauptakteure klar erkennen konnten, in welche Richtung sich die Ereignisse entwickelten (die Fragilität des Staates war keine Überraschung), waren Assads Verweigerungshaltung und die daraus resultierende Rasanz der militärischen Auflösung dennoch überraschend. Das war der wahre „schwarze Schwan“.
Was hat die Ereignisse ausgelöst? Erdoğan forderte seit mehreren Jahren, dass Assad erstens mit der „legitimen syrischen Opposition“ verhandelt, zweitens die Verfassung ändern und drittens Präsident Erdoğan persönlich trifft (was Assad konsequent ablehnte). Alle drei Mächte drängten Assad, mit der „Opposition“ zu verhandeln, aber er wollte nicht – und sich auch nicht mit Erdoğan treffen. (Beide verabscheuen einander). Die Frustration darüber war groß.
Erdoğan ist nun unbestreitbar „Besitzer“ des „ehemaligen Syriens“ [4]. Die osmanischen Irredentisten [Irredentismus: Ideologie, Gebiete eines anderen Staates dem eigenen Staatsgebiet anzuschließen, um möglichst alle Vertreter einer bestimmten Ethnie in einem Staat mit festen Territorialgrenzen zu vereinen. Quelle: Wikipedia; Anm. d. Red] sind ekstatisch und fordern mehr türkischen Revanchismus. Andere – die eher säkularen Stadtbewohner der Türkei – sind jedoch weniger begeistert von der Zurschaustellung des türkischen religiösen Nationalismus.
Erdoğan könnte jedoch (oder wird bald) die Kaufreue verspüren: Ja, die Türkei ist stolz darauf, Syriens neuer Hausherr zu sein. Aber er ist jetzt „verantwortlich“ für das, was als Nächstes passiert. (HTS ist eindeutig als türkischer Proxy entlarvt). Minderheiten werden getötet; brutale Hinrichtungen aufgrund der Religionszugehörigkeit nehmen zu; das Sektierertum wird extremer. Eine syrische Wirtschaft ist noch nicht in Sicht; es gibt keine Einnahmen und keinen Treibstoff für die Benzinraffinerie (der zuvor vom Iran geliefert wurde).
Erdoğans Eintreten für eine umbenannte und verwestlichte Al-Qaida war schon immer ein riskantes Unterfangen (wie die sektiererischen Morde auf grausame Weise zeigen). Wird es Jolani gelingen, seine Al-Qaida-im-Anzug Aufmachung bei seinen andersgläubigen Anhängern durchzusetzen? Abu Ali al-Anbari, damals (2012–2013) der wichtigste Berater von al-Baghdadi, gab diese vernichtende Einschätzung von Jolani ab [5]:
ung von Jolani ab [5]:
„Er ist ein gerissener Mensch; hat zwei Gesichter; vergöttert sich selbst; seine Soldaten sind ihm egal; er ist bereit, ihr Blut zu opfern, um sich in den Medien einen Namen zu machen – er strahlt, wenn er seinen Namen auf Satellitenkanälen hört.“
Auf jeden Fall ist eines klar: Erdoğans Taktik hat das ehemals (und größtenteils) ruhende sunnitische Sektierertum und den osmanischen Imperialismus neu entfacht. Die Folgen werden vielfältig sein und sich auf die gesamte Region auswirken. Ägypten ist bereits besorgt – ebenso König Abdullah in Jordanien.
Viele Israelis sehen sich als die „Gewinner“ des syrischen Umsturzes, da die Nachschublinie der Achse des Widerstands in der Mitte durchtrennt wurde. Der israelische Sicherheitschef Ronan Bar wurde höchstwahrscheinlich von Ibrahim Kalın, dem türkischen Geheimdienstchef, instruiert, als sie sich am 19. November in Istanbul wegen der erwarteten Invasion in Idlib trafen – rechtzeitig, damit Israel den Waffenstillstand im Libanon einleiten und den Durchmarsch der Hisbollah-Kräfte nach Syrien verhindern konnte (Israel bombardierte sofort alle Grenzübergänge zwischen dem Libanon und Syrien).
Dennoch könnten die Israelis entdecken, dass ein neu entfachter salafistischer Fanatismus nicht ihr Freund – und letztlich auch nicht zu ihrem Vorteil ist.
Der Iran wird am 17. Januar 2025 das lang erwartete Verteidigungsabkommen mit Russland unterzeichnen.
Russland wird sich auf den Krieg in der Ukraine konzentrieren und sich aus dem Sumpf des Nahen Ostens heraushalten – um sich auf die langsame globale Umstrukturierung zu konzentrieren, die sich vollzieht. Und auf den Versuch im großen Zusammenhang, Trump dazu zu bringen, zu gegebener Zeit die Sicherheitsinteressen der asiatischen Kernländer und der BRICS-Staaten anzuerkennen und sich auf eine Grenze zur (atlantischen) Sicherheitssphäre der Randgebiete zu einigen, so dass eine Zusammenarbeit in Fragen der globalen strategischen Stabilität und der europäischen Sicherheit vereinbart werden kann.
(Teil 1 dieses Artikels kann auf dem Substack-Blog des „Conflicts Forum“ eingesehen werden [6]):
+++
Quellen & Links
[1] News Lines Magazine, Hassan Hassan, Michael Weiss „The Backstory Behind the Fall of Aleppo“, am 2.12.2024: https://www.conflictsforum.org/mailster/3794/cd55a8bc957e4746f3f008aa7da8526b/aHR0cHM6Ly9uZXdsaW5lc21hZy5jb20vcmVwb3J0YWdlL3RoZS1iYWNrc3RvcnktYmVoaW5kLXRoZS1mYWxsLW9mLWFsZXBwby8
[2] Conflicts Forum’s Substack, Alastair Crooke „Clarity: A New ‘Balance of Power Equation’“, am 22.12.2024: https://www.conflictsforum.org/mailster/3794/cd55a8bc957e4746f3f008aa7da8526b/aHR0cHM6Ly9jb25mbGljdHNmb3J1bS5zdWJzdGFjay5jb20vcC9jbGFyaXR5LWEtbmV3LWJhbGFuY2Utb2YtcG93ZXItZXF1YXRpb24
[3] al-Akhbar Tageszeitung, Ibrahim Al-Amin وقائع «7 أكتوبر السوري» [1]“ am 18.12.2024: https://www.conflictsforum.org/mailster/3794/cd55a8bc957e4746f3f008aa7da8526b/aHR0cHM6Ly9hbC1ha2hiYXIuY29tL2xlYmFub24vODE2NzEwLyVEOSU4OCVEOSU4MiVEOCVBNyVEOCVBNiVEOCVCOS0tNy0lRDglQTMlRDklODMlRDglQUElRDklODglRDglQTglRDglQjEtJUQ4JUE3JUQ5JTg0JUQ4JUIzJUQ5JTg4JUQ4JUIxJUQ5JThBLS0tMQ
[4] X (Twitter), Critical Threats „An explosion from a former SAA position in Homs City suggests that HTS does not yet have full control on the ground and that local groups and individuals can access and repurpose unexploded ordinance.“, am 28.12.2024: https://www.conflictsforum.org/mailster/3794/cd55a8bc957e4746f3f008aa7da8526b/aHR0cHM6Ly94LmNvbS9jcml0aWNhbHRocmVhdHMvc3RhdHVzLzE4NzI4MDgzNDY2OTAxNzUwMzY
[5] siehe [1]
[6] siehe [2]
Für Spenden besuchen Sie bitte die Webseite
+++
https://free21.org/imperiale-hybris-in-syrien-und-deren-folgen/