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RND
Hafenstreik begonnen
US-Arbeiter wollen den Handel lahmlegen – mit Folgen für Europa
Ganz alte Schule: Harold J. Daggett, Chef der Gewerkschaft ILA, organisiert den Streik in den Häfen.
Quelle: Stefan Jeremiah/FR171756 AP/dpa
Hafenarbeiter an der US-Ostküste sind in den Streik getreten. Die Folgen des Ausstands dürften auch die europäische Industrie treffen, denn die in der Globalisierung aufgebauten Lieferketten können fragil sein. Die Schlüsselrolle im Streik spielt ein Urgroßvater.
Stefan Winter
02.10.2024, 16:51 Uhr
Als der Oktober anbrach, schlug die Stunde von Harold J. Daggett. Schlag Mitternacht zum 1. Oktober fand sich der Gewerkschaftsboss am Maher Terminal in New Jersey ein, um den größten Streik der US-Hafenarbeiter seit Jahrzehnten zu starten. Die mehr als 45.000 Mitglieder seiner International Longshoremen‘s Association (ILA) wollen die Containerhäfen der Ostküste und damit einen großen Teil des Außenhandels weitgehend lahmlegen. Der Tarifstreit beschäftigt nicht nur die US-Politik im Wahlkampf, sondern auch die europäische Industrie: Es drohen Lieferprobleme und steigende Transportpreise.
Viel mehr Lohn und keine Automatisierung
Mehr als ein Drittel des gesamten US-Außenhandels wird über die Häfen an der Ostküste und am Golf von Mexiko abgewickelt. Die ILA will alle bestreiken, bis der Arbeitgeberverband USMX ihre Forderungen erfüllt hat: In jedem der nächsten sechs Jahre soll der Stundenlohn um 5 Dollar steigen – US-Medien haben daraus eine Erhöhung um 77 Prozent errechnet. Außerdem sollen die Arbeitgeber auf „Automatisierung oder Halb-Automatisierung“ der Containerterminals verzichten – eine „absolut wasserdichte Erklärung“ dazu fordert Daggett. Aus Sicht der Arbeitgeber dürfte das die schwierigere Forderung sein: Die Häfen der Ostküste gelten in der Branche als nicht sonderlich effizient.
Finanziell hat sich USMX bereits bewegt und nach eigenen Angaben nahezu 50 Prozent Lohnerhöhung für die nächsten Jahre geboten. Die ILA weist das als unzureichend zurück. Auch der jetzt ausgelaufene Vertrag galt für sechs Jahre, in der Zwischenzeit summierte sich die US-Inflation auf über 25 Prozent. Zudem hätten Reedereien in den vergangenen Jahren enorme Gewinne eingefahren, sagt Daggett und wettert gegen die „ausländischen Konglomerate“, die Milliarden auf Kosten der Arbeiter verdienten. Schifffahrtskonzerne wie Maersk und CMA-CGM betreiben viele der Containerterminals.
Der Streik kann Milliarden kosten – täglich
„Der Streik ist nicht wirklich überraschend gekommen, viele Unternehmen haben Vorbereitungen getroffen“, sagt Thomas Puls, Experte für den Transportsektor am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Sie hätten Transporte vorgezogen oder in der Hoffnung auf einen kurzen Streik nach hinten geschoben. Hapag-Lloyd spürte das schon im Sommer: „Kunden versuchen, vor dem Auslaufen des aktuellen Tarifvertrages am 30. September Waren zu importieren“, sagte Reedereichef Rolf Habben Jansen bereits im August.
Gleichwohl könnte die Blockade der Häfen schnell gravierende Auswirkungen haben: Zuerst liefen die Stellplätze für Container in den Häfen voll, sagt Puls, dann müssten Frachter draußen auf Reede warten. Zudem komme der weltweite Kreislauf von vollen und leeren Containern durcheinander. Schon in der Pandemie wurde es zum größten Problem, dass die Transportbehälter nicht mehr dort landeten, wo man sie für die nächste Fuhre brauchte. Eine Studie der Großbank J.P.Morgan sagt bereits wirtschaftliche Schäden von mehr als 4 Milliarden Dollar voraus – täglich.
Auch der Hafen von Savannah wird jetzt bestreikt.
Quelle: Stephen B. Morton/FR56856 AP/dpa
Bei einem lange andauernden Streik seien solche Summen nicht aus der Welt, meint Puls. „Wenn es lange dauert, sind die Redundanzen erschöpft, und es wird wirklich teuer.“ Zudem wirkten Störungen in der Transportkette extrem lange nach: „Nach der Pandemie hat es mindestens ein Jahr gedauert, bis sich alles wieder eingespielt hatte.“
„Am härtesten dürfte es Automobilwirtschaft und Agrarhandel treffen“, sagt IW-Experte Puls. Mercedes-Benz und BMW etwa bauen Autos in den USA und verkaufen sie in Europa. Außerdem nähert sich die Hochsaison der Transportbranche: „Jetzt laufen die Transporte für das Weihnachtsgeschäft, es kommt also zur Hauptverkehrszeit.“
Das ganze System ist wie ein Uhrwerk, das ohnehin schon aus dem Takt ist.
Thomas Puls
Institut der deutschen Wirtschaft
„Das ganze System ist wie ein Uhrwerk, das ohnehin schon aus dem Takt ist“, sagt Puls. Denn wegen der Angriffe der Huthi-Rebellen auf Schiffe im Roten Meer nehmen viele Kapitäne von Asien aus den Umweg um das Kap der Guten Hoffnung – und brauchen damit ohnehin schon eine bis zwei Wochen länger nach Europa. Nicht nur die Treibstoffkosten sind dadurch höher, die längere Fahrzeit mindert auch die verfügbare Transportkapazität – und lässt die Preise steigen. Jetzt sollen Reedereien mit Blick auf mögliche Wartezeiten vor US-Häfen bereits weitere Zuschläge verlangen, von 1000 Euro pro Container berichten Fachmedien.
Der Streik wird Wahlkampfthema
Seit der Pandemie weiß die Industrie, wie fragil die in der Globalisierung aufgebauten Lieferketten sein können. Rund um die Welt standen abwechselnd Häfen still, Transportrouten wurden ständig geändert, die eingespielten Fahrpläne galten nicht mehr. Knappe und damit teure Transportkapazität war der erste große Inflationstreiber – und die Quelle riesiger Reedereigewinne.
Mit denen begründet Daggett nun vor allem die üppige Tarifforderung. Der Gewerkschafter alter US-Schule, seit den Sechzigern im Geschäft und mittlerweile doppelter Urgroßvater, bringt damit auch die Wahlkämpfer in den USA in Zugzwang. US-Präsident Joe Biden könnte die streitenden Parteien zwar zur Mediation zwingen und den Streik damit verhindern – Wirtschaftsverbände haben ihn dazu bereits aufgefordert. Doch die Gewerkschaften sind traditionell eine starke Wählerbasis der Demokraten. Und auch Donald Trump hat sich für ihre Forderungen stark gemacht. Blockierte Häfen werden im Zweifel der Regierung angelastet.
https://www.rnd.de/wirtschaft/hafenstreik-us-arbeiter-an-der-us-ostkueste-wollen-handel-lahmlegen-PZAMUARTY5EITAEVEIN5LHAM3U.html
Hafenstreik begonnen
US-Arbeiter wollen den Handel lahmlegen – mit Folgen für Europa
Ganz alte Schule: Harold J. Daggett, Chef der Gewerkschaft ILA, organisiert den Streik in den Häfen.
Quelle: Stefan Jeremiah/FR171756 AP/dpa
Hafenarbeiter an der US-Ostküste sind in den Streik getreten. Die Folgen des Ausstands dürften auch die europäische Industrie treffen, denn die in der Globalisierung aufgebauten Lieferketten können fragil sein. Die Schlüsselrolle im Streik spielt ein Urgroßvater.
Stefan Winter
02.10.2024, 16:51 Uhr
Als der Oktober anbrach, schlug die Stunde von Harold J. Daggett. Schlag Mitternacht zum 1. Oktober fand sich der Gewerkschaftsboss am Maher Terminal in New Jersey ein, um den größten Streik der US-Hafenarbeiter seit Jahrzehnten zu starten. Die mehr als 45.000 Mitglieder seiner International Longshoremen‘s Association (ILA) wollen die Containerhäfen der Ostküste und damit einen großen Teil des Außenhandels weitgehend lahmlegen. Der Tarifstreit beschäftigt nicht nur die US-Politik im Wahlkampf, sondern auch die europäische Industrie: Es drohen Lieferprobleme und steigende Transportpreise.
Viel mehr Lohn und keine Automatisierung
Mehr als ein Drittel des gesamten US-Außenhandels wird über die Häfen an der Ostküste und am Golf von Mexiko abgewickelt. Die ILA will alle bestreiken, bis der Arbeitgeberverband USMX ihre Forderungen erfüllt hat: In jedem der nächsten sechs Jahre soll der Stundenlohn um 5 Dollar steigen – US-Medien haben daraus eine Erhöhung um 77 Prozent errechnet. Außerdem sollen die Arbeitgeber auf „Automatisierung oder Halb-Automatisierung“ der Containerterminals verzichten – eine „absolut wasserdichte Erklärung“ dazu fordert Daggett. Aus Sicht der Arbeitgeber dürfte das die schwierigere Forderung sein: Die Häfen der Ostküste gelten in der Branche als nicht sonderlich effizient.
Finanziell hat sich USMX bereits bewegt und nach eigenen Angaben nahezu 50 Prozent Lohnerhöhung für die nächsten Jahre geboten. Die ILA weist das als unzureichend zurück. Auch der jetzt ausgelaufene Vertrag galt für sechs Jahre, in der Zwischenzeit summierte sich die US-Inflation auf über 25 Prozent. Zudem hätten Reedereien in den vergangenen Jahren enorme Gewinne eingefahren, sagt Daggett und wettert gegen die „ausländischen Konglomerate“, die Milliarden auf Kosten der Arbeiter verdienten. Schifffahrtskonzerne wie Maersk und CMA-CGM betreiben viele der Containerterminals.
Der Streik kann Milliarden kosten – täglich
„Der Streik ist nicht wirklich überraschend gekommen, viele Unternehmen haben Vorbereitungen getroffen“, sagt Thomas Puls, Experte für den Transportsektor am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Sie hätten Transporte vorgezogen oder in der Hoffnung auf einen kurzen Streik nach hinten geschoben. Hapag-Lloyd spürte das schon im Sommer: „Kunden versuchen, vor dem Auslaufen des aktuellen Tarifvertrages am 30. September Waren zu importieren“, sagte Reedereichef Rolf Habben Jansen bereits im August.
Gleichwohl könnte die Blockade der Häfen schnell gravierende Auswirkungen haben: Zuerst liefen die Stellplätze für Container in den Häfen voll, sagt Puls, dann müssten Frachter draußen auf Reede warten. Zudem komme der weltweite Kreislauf von vollen und leeren Containern durcheinander. Schon in der Pandemie wurde es zum größten Problem, dass die Transportbehälter nicht mehr dort landeten, wo man sie für die nächste Fuhre brauchte. Eine Studie der Großbank J.P.Morgan sagt bereits wirtschaftliche Schäden von mehr als 4 Milliarden Dollar voraus – täglich.
Auch der Hafen von Savannah wird jetzt bestreikt.
Quelle: Stephen B. Morton/FR56856 AP/dpa
Bei einem lange andauernden Streik seien solche Summen nicht aus der Welt, meint Puls. „Wenn es lange dauert, sind die Redundanzen erschöpft, und es wird wirklich teuer.“ Zudem wirkten Störungen in der Transportkette extrem lange nach: „Nach der Pandemie hat es mindestens ein Jahr gedauert, bis sich alles wieder eingespielt hatte.“
„Am härtesten dürfte es Automobilwirtschaft und Agrarhandel treffen“, sagt IW-Experte Puls. Mercedes-Benz und BMW etwa bauen Autos in den USA und verkaufen sie in Europa. Außerdem nähert sich die Hochsaison der Transportbranche: „Jetzt laufen die Transporte für das Weihnachtsgeschäft, es kommt also zur Hauptverkehrszeit.“
Das ganze System ist wie ein Uhrwerk, das ohnehin schon aus dem Takt ist.
Thomas Puls
Institut der deutschen Wirtschaft
„Das ganze System ist wie ein Uhrwerk, das ohnehin schon aus dem Takt ist“, sagt Puls. Denn wegen der Angriffe der Huthi-Rebellen auf Schiffe im Roten Meer nehmen viele Kapitäne von Asien aus den Umweg um das Kap der Guten Hoffnung – und brauchen damit ohnehin schon eine bis zwei Wochen länger nach Europa. Nicht nur die Treibstoffkosten sind dadurch höher, die längere Fahrzeit mindert auch die verfügbare Transportkapazität – und lässt die Preise steigen. Jetzt sollen Reedereien mit Blick auf mögliche Wartezeiten vor US-Häfen bereits weitere Zuschläge verlangen, von 1000 Euro pro Container berichten Fachmedien.
Der Streik wird Wahlkampfthema
Seit der Pandemie weiß die Industrie, wie fragil die in der Globalisierung aufgebauten Lieferketten sein können. Rund um die Welt standen abwechselnd Häfen still, Transportrouten wurden ständig geändert, die eingespielten Fahrpläne galten nicht mehr. Knappe und damit teure Transportkapazität war der erste große Inflationstreiber – und die Quelle riesiger Reedereigewinne.
Mit denen begründet Daggett nun vor allem die üppige Tarifforderung. Der Gewerkschafter alter US-Schule, seit den Sechzigern im Geschäft und mittlerweile doppelter Urgroßvater, bringt damit auch die Wahlkämpfer in den USA in Zugzwang. US-Präsident Joe Biden könnte die streitenden Parteien zwar zur Mediation zwingen und den Streik damit verhindern – Wirtschaftsverbände haben ihn dazu bereits aufgefordert. Doch die Gewerkschaften sind traditionell eine starke Wählerbasis der Demokraten. Und auch Donald Trump hat sich für ihre Forderungen stark gemacht. Blockierte Häfen werden im Zweifel der Regierung angelastet.
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